Meine Sucht nach Anerkennung und das Mamasein


Heiligabend. Ich hatte nicht viel von ihm erwartet, doch hätte ich nicht damit gerechnet, dass ich ihn Tränen überströmt im kalten Auto verbringen würde. Der 24. begann schon suboptimal, denn er startete viel zu früh. Unser Mädchen wollte ab 3 Uhr morgens nicht mehr im Bett liegen, sondern mit Mama Zeit verbringen. Da hatte ich aber erst drei Stunden geschlafen. Gegen 6 Uhr durfte ich dann nochmal zwei Stunden auf mein Schlafkonto verbuchen. Die Kleine war verständlicher Weise den ganzen Tag quengelig und anhänglich, doch wollte sie partout keinen Mittagsschlaf halten. Da sie sich, seit sie anderthalb Jahre ist, meist eh für zu alt für einen Mittagsschlaf hält, habe ich trotzdem das Beste für den Abend gehofft. Hätten wir diesen entspannt zuhause verbringen können, wären wahrscheinlich keine Tränen geflossen, doch hatten wir noch einen Termin. Den Weihnachtsgottesdienst unserer Gemeinde. Ich wollte im Chor mitsingen und mein Mann sollte als Prediger die Andacht halten. Wir zogen unsere gebügelte Kleidung an (gebügelt ist bei mir immer ein Zeichen dafür, dass es ein wirklich wichtiger/besonderer Termin ist) und kamen pünktlich an. Schon beim Einsingen stellte ich fest, dass mein Mädchen sich nicht von meinem Arm bewegen würde. Niemand anderes, nicht einmal der Mann durfte sie auf den Arm nehmen. Nicht schlimm, dann würde der Altersdurchschnitt des Chors also an diesem Abend deutlich gedrückt werden. Der Gottesdienst begann und das erste Chorlied verlief gut. Nur beim Abgang verlangte die Tochter lautstark nach „Brusti“ (Muttermilch), was hoffentlich da der undeutlichen Aussprache nicht von allzu vielen verstanden worden war. Beim zweiten Lied jedoch gedachte die Kleine mir den Mund zu verbieten. Sie hielt ihren Zeigefinger vor meine Lippen und wiederholte immer wieder „Leise, Mama“. Ich entschied mich also das dritte Lied vom Platz aus zu singen.

Später musste mein Mann auf die Bühne und die Geschwister saßen jetzt nebeneinander. Der Große meinte, er wäre am Verhungern und noch nicht gesättigt vom vielen Zwieback, den er in der ersten halben Stunde verdrückt hatte.  Also kramte ich aus meiner Tasche zwei Lollis. Für jeden einen. Klingt nach einem guten Plan. Es gab jedoch einen Haken. Die Lollis waren nicht identisch in Farbe und Größe. Zwei Minuten waren sie zufrieden. Auf einmal entbrannte ein lautstarker und handgreiflicher Streit um den „besseren“ Lutscher. Meine Alarmglocken schrillten. Es war ein besinnlicher Weihnachtsgottesdienst. Die Gäste sollten meinem Mann in Ruhe zuhören können und nicht vom Geschrei meiner Kinder abgelenkt werden. Ich war einfach nur überfordert und fühlte mich wie eine Versagerin. Gott sei Dank, und ich denke wirklich, dass es Gottes Segen zu verdanken war, schnappte sich eine Mama der Gemeinde meinen Sohn und konnte ihn schnell mit einem Buch ablenken. Ich floh ein paar Minuten später mit meiner Tochter auf die Toilette, da mir die Tränen in die Augen gestiegen waren. Als der Tränenstrom nicht mehr versiegen wollte, zog ich mich mit dem Mädchen ins Auto zurück. Sie schlief friedlich ein und ich konnte ungestört weinen und darüber nachdenken, was denn da genau passiert war.

Eigentlich nichts Welt Erschütterndes. Meine Tochter hatte ein wenig während der Choraufführung gestört und meine Kinder hatten einen kurzen Streit vor vielen Augen. Doch war ich in eine Situation geraten, in der eins meiner größten „Bedürfnisse“ nicht gestillt werden konnte. Ich bin „süchtig“ danach, anderen Menschen zu gefallen. Alle Menschen, dazu gehört auch die neue Gemeinde meines Mannes, sollen gut von mir, meinem Mann und meinen Kindern denken. Sie sollen uns für Personen mit tollen Charakteren halten und uns jederzeit als angenehm und nie als störend empfinden. So der utopische Wunschtraum. Als es nur mich gab, da habe ich mich immer so gut wie möglich angepasst. Als gute Beobachterin habe ich mich oft wie ein Chamäleon so verändert, dass ich den Menschen und Situationen möglichst ähnlich war. Es hat nicht immer, aber ziemlich oft funktioniert und mich doch gleichzeitig so viel sinnlos investierte Kraft gekostet. Und dann wurde ich Mutter und musste feststellen, dass Kinder sich nicht anpassen wollen. Sie äußern lautstark, was sie empfinden und stören sich nicht daran, was andere denken könnten. Ihnen ist es egal, ob der gesamte Supermarkt sie schreiend am Boden sieht. Ich finde es grundsätzlich gut, dass meine Kinder ihre Emotionen zeigen, auch Wut. Sie dürfen und sollen sich äußern. Doch erlebe ich mich in solchen Momenten wie auf dem Präsentierteller. Ich denke dann zeigen zu müssen, dass ich eine gute Mutter bin und „richtig“ mit meinen Kindern umgehe. Doch, was erwarten die umstehenden Leute von mir? Für manche handle ich wahrscheinlich zu inkonsequent, für andere viel zu streng. Auf manche wirke ich wahrscheinlich einfach nur überfordert. (Das bin ich auch oft.) Und reagiere ich auch wirklich fair gegenüber meinen Kindern? In Zeiten von Trotzphasen und übermüdeten Kindern werde ich um diese Situationen nicht drum herumkommen. Werde ich zum Schluss immer weinend im Auto sitzen müssen? Oder kann ich irgendwann lernen, dass ich auch dann ein gutes Leben führen kann und werde, wenn mich nicht alle Menschen für eine tolle Mutter, einen angenehmen Menschen halten, wenn ich nicht allen gefalle? Vielleicht machte mich Gott zur Mutter, um mich langsam von meiner Sucht nach Anerkennung zu befreien. Und vielleicht war diese Zeit im kalten Auto ein Schritt in Richtung Gesundung und für mein Leben wertvoller als ein Abend voller Lachen.

2 Kommentare

  1. ganz toller Artikel Manuela!
    Ich hab mich sehr angesprochen gefühlt.
    Du bist nicht alleine. Ich denke sehr vielen oder sogar den meisten Mamas dürfte es so ergehen wie du es beschrieben hast.
    Aber gerade im Gemeinde Kontext fällt mir immer wieder auf, dass wir uns diesen Stress gar nicht machen bräuchten. Zumindest was das Mama- Dasein betrifft. Die anderen Mamas haben das auch alles durchlebt und sind daher gar nicht so kritisch wie wir denken.
    Ich bekomme auch immer reichlich Unterstützung. Wir müssten es schaffen diese Gedanken abzuschütteln und NUR für unseren Kinder gute Mütter zu sein und nicht für alle anderen ?

    Frohes neues Jahr euch ?

    • Manuela Hübler

      Ich wünsche dir auch ein frohes neues Jahr und danke dir für dein ehrliches und ermutigendes Feedback.
      „Nur für unsere Kinder gute Mütter zu sein“, diese Aussage muss ich noch in mein Herz schreiben lassen. Doch ich möchte das, schon allein meiner Kinder wegen, wirklich lernen.

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