Ich nehme es an


Annehmen. Aushalten. Akzeptieren. Den Impuls, alles verändern zu wollen, loslassen. Das Leben so annehmen, wie es ist. Umstände, Mitmenschen, mich so wertschätzen, wie wir sind.

Das ist nichts, was mir leicht fällt, nichts, was meinem Naturell entspricht. Ich gehöre eher zu der Sorte Mensch, die alles zum Besseren verändern will. Ich sehe so viele Schwächen in Gegebenheiten, Beziehungen und in mir und möchte am liebsten alle ausmerzen, mit einem Wisch verschwinden lassen. Dinge zum Positiven verändern zu wollen, ist auch nichts Schlechtes, es ist vielleicht sogar göttlich. Die nächsten Worte sollen deshalb keinesfalls eine Ode an den Stillstand sein.

Mir geht es um den Moment. Wie lebe ich im Jetzt? Lebe ich den Augenblick in einer Haltung, die mir und meinen Mitmenschen guttut, oder zerfresse ich mich und schade meinen Beziehungen, weil ich alles optimieren möchte. Nehme ich den Moment, die Menschen die mich umgeben und auch mich selbst dankbar und vertrauensvoll aus einer göttlichen Hand an?

Das Wort „annehmen“ begegnete mir in letzter Zeit in den unterschiedlichsten Situationen. Zum Beispiel in einem Interview-Video eines Mörders, indem dieser sagte, er hielte das Leben im Knast nur aus, indem er es so annahm, wie es war. Oder in einem Gespräch mit einer Freundin, die von einem Kinderpsychologen gehört hatte, wie wichtig es sei, seine Kinder und ihre Charaktere so anzunehmen, wie sie sind und nicht einer fixen Idee nachzutrauern, wie die eigenen Kinder sein könnten. Dieses „Annehmen“ brannte sich so in meine Gedanken ein, dass es in den verschiedensten Momenten meines Lebens aufloderte. Von Zweien möchte ich euch berichten.

Wer schon einmal handwerklich tätig war, der weiß, dass da nicht immer alles glatt läuft. Glatt laufen ist schon ein gutes Stichwort. Bei uns lief es ungewollter Weise ziemlich wellig. Ich hätte beim Streichen der neuen Wohnung gern eine gerade, glatte Farbkante erzeugt. Doch trotz sorgsamer Vorbereitungen, dem besten Malerkrepp und Unterstützung meiner malererprobten Schwägerin, blieb am Ende eine schrecklich ausgefranste Kante, da sich Acryl für eine Kantenversiegelung als völlig ungeeignet erwies. Ich hätte heulen können. Es hatte uns nicht nur viel Zeit gekostet, die Kante vorzubereiten. Es war eine nervliche Herausforderung gewesen, zwei Einjährige davon abzuhalten, dem Farbeimer näher zu kommen und ein riesiges Chaos zu erzeugen und gleichzeitig mit dem Streichen voranzukommen. Und jetzt war das Ergebnis so mies und ich wusste, ich würde noch einmal ans Werk gehen müssen. Und dann dachte ich wieder ans „Annehmen“ und sagte mir selbst, dass meine negativen Gedanken jetzt nichts bringen würden. Ich verbuchte es also unter: „So ist halt das Leben“ und „Wieder etwas gelernt.“ und damit ging es mir erstaunlich gut. (Das Korrigieren an einem anderen Tag ging dann übrigens ganz schnell und unkompliziert von der Hand.)

Das nächste Beispiel betrifft meinen Sohn und hierfür die richtigen Worte zu finden, fällt mir schwer. Noch schwerer tue ich mich mit dem Annehmen der Problematik. Mein Sohn ist wunderbar, das steht fest und ich liebe ihn und meine Tochter mehr als alles andere auf der Welt. Wahrscheinlich ist es deshalb so herausfordernd für mich, anzunehmen, dass er im Bereich Sprache starke Entwicklungsdefizite zeigt. Als die ersten Gleichaltrigen ihre ersten Worte lernten, blieb mein Sohn noch stumm. Damals ermutigte ich mich damit, dass manche später mit dem Sprechen loslegen und dann ganz plötzlich aufholen. Bis es zu diesem Punkt kommen würde, tat ich alles Erdenkliche, von dem man sagt, dass es die Sprache fördern würde. Ich las ihm täglich vor. Wir sangen mit ihm und machten Fingerspiele. Ich gewöhnte mir an, noch deutlicher, langsamer und einfacher zu sprechen und wiederholte unverständliche Worte auf korrekte Weise. Er verbrachte viel Zeit mit Freunden, die ihm tolle sprachliche Vorbilder waren. Jetzt ist er vier Jahre alt, spricht und ich kann im Alltag wunderbar mit ihm kommunizieren und doch zeigt er leider noch immer sehr große sprachliche Defizite. Seine Zungenmotorik ist zu schwach, sein Wortschatz nicht groß genug und seine Grammatik nicht altersgerecht. Ich weiß, dass wir mit Logopädie viel verbessern können und glaube, dass mein kleiner schlauer Kopf sich gut durchs Leben quatschen wird. Und doch muss ich jetzt erst einmal annehmen. Annehmen, dass meine Bemühungen nicht ausreichend waren. Annehmen, dass andere komisch gucken, wenn sie meinen Sohn reden hören und oft nicht so gut verstehen. Annehmen, dass auch manche Kinder ihn dadurch weniger achten. Annehmen, dass wir in den nächsten Monaten regelmäßig logopädische Übungen und Termine wahrnehmen müssen. Ich muss und möchte meine Sorgen zu diesem Thema abgeben. In die Hände meines Gottes. Im Vertrauen, dass er meinen Sohn sehr gut gemacht hat und jetzt, genau jetzt, neben meinem Jungen steht und stolz auf ihn ist. Es dient mir selbst. Löst meine verkrampften Händen, die alles im Griff haben wollten. Im Akzeptieren, im Loslassen finde ich Entspannung und merke, wie sie auch meine Beziehung zum Sohn verändert. Ihm habe ich ja auch all die Zeit Druck gemacht. Damit ist Annehmen nicht nur für mich selbst eine Lebensverbesserung. Es verändert auch Beziehungen. Es hilft wertzuschätzen. Und ich möchte es auf möglichst viele Lebenssituationen übertragen.


2 Kommentare

  1. Mich hat Dein Beitrag auch sehr berührt. Besonders schön finde ich, wie Du beschreibst, wie sehr sich Gott über Deinen Sohn freut und ihn wertschätzt. Dies kann einen auch selbst sehr ermutigen und auch im Blick auf Andere, um die man sich sorgt. Danke!

  2. Der Beitrag ist richtig ergreifend. Es ist wirklich eine gute Sache, die wir alle mal hören müssen.

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