Zerbrochene Vase


Die altrosa Vase fällt krachend zu Boden, zerspringt in tausend Teile. „Mist“, murmelt mein Mann. „Das kannst du laut sagen!“, denke ich mir. Okay, sie war nur eine von vielen Vasen; günstig geshoppt, ohne besondere Geschichte, – und doch hatte ich sie gemocht. Sie hatte auf dem Fensterbrett neben der durchsichtigen Vase so gut ausgesehen. Und ja, ich ärgere mich über die Unachtsamkeit meines Partners. Da dringt ein „Entschuldigung“ an mein Ohr. Ich ringe mir ein „Ist nicht so schlimm ab“ und weiß tief drinnen, dass ich bald nicht mehr traurig sein werde.

Szenenwechsel: Wir sind auf dem 30. Geburtstag meiner Schwägerin. Jeder Gast hat einen oder zwei Kuchen für die Feier mitgebracht, um dem Geburtstagskind und ihren Gästen eine Gaumenfreude zu bereiten. Stundenlanges In-der-Küche-Stehen, um in zufrieden kauende Gesichter zu blicken. Ich helfe fleißig beim Decken des Kuchenbuffets. Schwungvoll nehme ich die Tortenplatte mit der leckeren Schoko-Torte meiner Schwiegermutter in die Hand – genauso schwungvoll klatscht der Kuchen auf den Küchenboden. – Alles Matsch, alle Mühe, alle verarbeiteten Lebensmittel umsonst! Ich werde hochrot und entschuldige mich tausendmal. Glücklicherweise nimmt meine Schwiegermutter meine Entschuldigung an.

Erneuter Szenenwechsel: Cousin und Cousine sitzen nebeneinander. Zwischen ihnen liegt das Lieblingsbuch des Cousins. Der Junge möchte eine Seite umblättern, das Mädchen hingegen nicht. Ein Streit um die Entscheidungsgewalt entbricht. Das Mädchen zerknickt die Seite des geliebten Buches. Der Junge weint aus vollstem Herzen; wütet, weil etwas, was ihm wirklich wichtig war, nun nicht mehr so schön ist. Die Mamas der beiden kommen angelaufen, versuchen zu vermitteln – Frieden zu stiften.

Materielle Dinge sind vergänglich – das wissen wir alle. Und doch hängen an manchen dieser Dinge unsere Herzen. Nicht immer geht es uns um den materiellen Wert. Manches lieben wir auf Grund seiner Geschichte, auf manches mussten wir lange warten, für manches haben wir uns richtig ins Zeug gelegt. Es ist einfach ärgerlich, wenn etwas kaputt geht, was wir gerne in unserem Leben hatten, was nützlich war und nur mühsam ersetzt werden kann.

Ich setze mich zu meinem Sohn – dem traurigen Cousin – auf die Treppe und versuche zu ihm durchzudringen: „B., ich weiß, dass du dieses Buch liebst. Ich verstehe, dass du traurig bist, doch vergib deiner Cousine bitte, denn Menschen sind immer wichtiger als Dinge.“

„Menschen sind immer wichtiger als Dinge“, hallt es in meinem Kopf nach. Ein schlauer Satz, ein Satz den ich in die Welt schreien möchte. Stattdessen hören meine Kinder mich im wahren Leben viel häufiger rufen: „Konntest du nicht besser aufpassen? Es kotzt mich an, dass mein Handy deinetwegen schon wieder einen Riss bekommen hat.“ Autsch, das sitzt. Natürlich ist es meine Aufgabe, ihnen zu vermitteln, dass sie achtsam mit Dingen umzugehen haben, aber dafür muss ich sie nicht anschreien, muss ihnen nicht das Gefühl vermitteln, doof zu sein. Sie wollten das Handy doch gar nicht fallen lassen.

Setzen wir uns einmal in eine Zeitmaschine und reisen zurück in unsere Kindheit. Wie haben unsere Eltern reagiert, wenn wir etwas absichtlich oder unabsichtlich zerstört haben? Fiel es uns leicht, unsere Fehler zu gestehen, weil wir wussten, dass sie es gemeinsam mit uns in Ordnung bringen würden, oder versteckten wir uns lieber hinter der Couch, aus Angst, eine Strafe für unser Handeln zu erhalten? Diese Erfahrungen haben uns geprägt, haben sich eingebrannt und sind oft zu unbewussten Handlungsmustern geworden.

In der Bibel lesen wir, dass Jesus einen Mann auffordert, all seinen Besitz an Arme abzugeben. Mit dieser Aufforderung ist der Mann absolut überfordert. Diesen Auftrag kann er nicht ausführen. Auch ich finde die Vorstellung, alles weggeben zu müssen, gruselig. Ein Leben ohne meine geliebte Kamera, ohne meine Lieblingskleider, ohne meine bequeme Couch, ohne meine Lieblingsvasen – darauf habe ich so gar keine Lust. Doch dann stelle ich mir vor, ich würde etwas ganz anderes verlieren: die Menschen, die ich liebe, die meinen Alltag bereichern. Wenn ich mich zwischen meiner Kamera und ihnen entscheiden müsste, dann würde ich doch für die Menschen wählen, oder?  

Wo Menschen wichtiger sind als Dinge, da kann ich die Kratzer im Handy vergeben; da muss ich nicht neidisch auf den Porsche des anderen schauen. Wenn ich die Lebenden höher achte als Materielles, dann werde ich nicht einsam neben meiner altrosa Vase sterben. Wenn ich die Beziehung zu meinen Mitmenschen in den Vordergrund stelle, dann wird mir ein Reichtum geschenkt, den mir niemand und nichts nehmen kann! Und auf diesen Reichtum möchte ich nun wirklich nicht verzichten!


1 Kommentare

  1. Danke, für Deinen sehr schönen Beitrag. Danke für die Erinnerung daran, sich immer wieder die Frage zu stellen, was einem wichtiger ist. Dadurch kann das Unwichtige nebensächlich werden. Dankeschön!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.