In diesem Jahr war ich zum ersten Mal zur Weinlese in Frankreich (eigentlich auch zum ersten Mal überhaupt in Frankreich) mit einer Gruppe von 18 jungen Leuten aus Deutschland und Polen. Gemeinsam arbeiteten wir 12 Tage in der Champagne in den Weinbergen. Von morgens bis abends wurden Weintrauben für Champagner geerntet. Manchmal 11 Stunden am Tag. Ein bisschen anders hatte ich mir das Ganze schon vorgestellt. Naja sagen wir so, ich dachte, es wäre etwas romantischer. Vielleicht so, wie ich es aus den Filmen kenne. Weinberge, Frankreich, den ganzen Tag an der frischen Luft arbeiten, eine leichte Brise um die Ohren, mit einem entspannten jungen Team neue Erfahrungen sammeln. Ja, manchmal bin ich einfach sehr naiv.
Fünf Uhr dreißig, der Wecker klingelt. Ich schlage die Augen auf und bin noch viel zu müde, um aufzustehen. Eigentlich komme ich immer schnell aus dem Bett, aber hier will ich mich am liebsten wieder in den Schlafsack kuscheln und weiter schlafen. Doch es nützt alles nichts. Ein weiterer Arbeitstag wartet auf uns. Ich krabbel also aus dem kleinen Bett im Wohnanhänger (in denen wir auf einem Campingplatz in Bar sur Aube untergebracht sind), gehe ins Bad und versuche danach zu frühstücken, um etwas Energie für den Tag zu sammeln. Wir treffen uns alle auf dem Parkplatz und fahren noch im Dunkeln auf den nächsten Weinberg, den wir heute abernten sollen. Die Autofahrt am Morgen ist immer besonders. Der Nebel liegt über den Weinbergen und die französischen Dörfer, durch die wir fahren, sehen alle so wunderschön und verschlafen in der Morgendämmerung aus. Am Weinberg angekommen schlüpfen wir in unsere Arbeitssachen und dann geht es auch schon los mit der Ernte. Immer zwei ernten an einer Reihe den Weinberg hoch. Die Plantagen sind niedriger als ich vorher angenommen habe. Entweder arbeiten wir auf den Knien und wenn die zu stark schmerzen, dann gebückt, bis der Rücken wieder zu doll weh tut. Eine perfekte Arbeitsposition gibt es kaum. Oben angekommen, geht es auf dem Po wieder die nächste Reihe runter. Wir schneiden alle Trauben….Schnipp, schnipp, schnipp ab in den Korb und wenn der voll ist, in eine große Box entleeren. Diese werden dann von den französischen Bauern abgeholt und zum Gutshof gefahren. Endlich Pause. Handschuhe aus, Wasser trinken und das mitgebrachte Essen genießen. Ich versuche mich kurz zu entspannen und neue Energie für den restlichen Tag zu sammeln. Doch leider ist die Pause viel zu schnell vorbei. Dann nach weiteren schier endlosen Reihen und vielen, vielen saftigen Trauben endlich Feierabend. Wir ziehen die Sachen aus und fahren in unsere Unterkunft auf dem Campingplatz. Erstmal unter die Dusche, so ein herrliches Gefühl nach einem so langem Arbeitstag. Dann schnell die leeren Gläser abwaschen und das Essen für den nächsten Tag vorbereiten. Ob Gemüse-Kokosnuss-Curry mit Reis oder doch nur Baguette mit Käse und ein Salat. Vielleicht noch ein kleiner Spaziergang, zusammen sitzen und reden, sich gegenseitig die schmerzenden Rücken massieren und dann ist es auch schon wieder Zeit, ins Bett zu gehen, um genug Schlaf zu bekommen. Selbst in der Nacht träume ich von der Arbeit in den Weinbergen.
So ging es Tag aus, Tag ein. Wenn ich dort im Regen in den Weinbergen stand oder die Sonne mir auf dem Kopf seit Stunden brannte, meine Knie und mein Rücken unglaublich schmerzten, dann fragte ich mich wirklich, warum ich hier her gekommen war. Dann war meine Laune einfach manchmal so tief unten, dann wollte ich oft einfach abbrechen und nach Hause trampen.
Aber irgendwie habe ich es doch durchgezogen (ohne meinen Freund hätte ich das wohl nicht geschafft). Irgendwie gingen die Tage dort dann vorbei. Es schien am Anfang endlos und dann kam der letzte Tag. An dem konnten wir doch noch ein wenig durch die kleine Stadt schlendern, die französischen Gassen bewundern, ein bisschen Frankreich genießen.
Auf dem Rückweg legten wir noch einen Zwischenstopp in Luxemburg ein, schliefen eine Nacht in einem Hostel und besichtigten mit unseren eigentlich viel zu müden Beinen noch die Stadt. Ein wunderbarer Trip mit Freunden.
Und dann saßen wir endlich wieder im Auto auf dem Weg nach Hause. In meinem Kopf ließ ich die Ereignisse revue passieren. Und stellte fest, dass ich die meisten unangenehmen Situationen, in denen ich doch eigentlich die Arbeit aufgeben wollte, schon längst wieder vergessen hatte. Es war so, als hätte ich sie aus meinem Kopf gestrichen, um nur die positiven Erinnerungen zu behalten. „Bitte erzähle zu Hause nicht nur all das Schöne.“ Die Worte meines Freundes rissen mich aus meinen Gedanken. Er weiß halt, wie ich bin.
Tatsächlich, mein Fazit aus dieser Reise ist positiv. Ich bin reicher an Erfahrungen, durfte in Frankreich und Luxemburg mit Freunden viel Zeit verbringen. Ja, sicherlich, die Arbeit war sehr hart und nicht so gut bezahlt, ich wollte manchmal aufgeben und wenn ich nochmal ins Ausland zum Arbeiten fahren würde, dann vielleicht doch zu anderen Bedingungen. Aber alles in allem, war es ein tolles Abenteuer. Ok, ok, meine Knie schmerzen immer noch furchtbar und die blauen Flecken an meinen Beinen sind schon am abheilen. Aber vor Augen habe ich, wenn ich an die Zeit zurück denke, eher die schönen Bilder. Die französischen Dörfer, die Aussicht in den Weinbergen, den Geschmack dieser saftigen und süßen Trauben.
Ich weiß nicht, warum ich so bin, dass ich nach schweren Situationen oft versuche, nur das Schöne in meinem Kopf zu behalten. Vielleicht ist es eine Art Schutz oder einfach nur, die Liebe zum Leben. Selbst in schwierigen Zeiten finden wir doch eigentlich immer wieder Dinge, sind sie noch so klein, um glücklich und dankbar zu sein.
Mein Professor sagte in der ersten Wein-Vorlesung, „Vergessen sie die Winzer-Romantik die gibt es schon lange nicht mehr.“
Hut ab fürs trotzdem durchziehen!